Bier brauen und trinken liegt im Trend. Ob das noch etwas mit Genuss zu tun hat und was es mit dem aktuellen Craft-Beer-Trend auf sich hat, verrät die Thurgauer Bier-Sommeliere Sandra Lopar.
Die Sonne scheint und es weht ein kühler Wind: Der letzte September-Samstag ist ein Herbsttag, wie er im Buche steht. Auch im thurgauischen Roggwil. Im Dorfzentrum zwischen Wittenbach und Arbon steht die «Huus-Braui», ein schmuckes, pastellgelbes Haus mit Garten. Vor der Brauerei wartet bereits Sandra Lopar. Die 30-Jährige ist eine von 21 frisch zertifizierten Bier-Sommeliers und Bier-Sommelieren in der ganzen Schweiz. Neben Lopar haben mit Renato Gabriel aus St.Gallen, Roger Senn aus Buchs und Evelyn Tanner aus Gossau drei weitere Ostschweizerinnen und Ostschweizer ein Zertifikat erhalten.
Die Bar in der «Huus-Braui» ist klein, aber fein. Grossgewachsene müssen beim Betreten des mit hellem Holz getäfelten, engen Raumes den Kopf einziehen. «Welches Spezialbier habt ihr heute?», fragt Lopar die Bedienung. Das frage sie immer, wenn sie ein Bier bestelle, sagt die Amriswiler Bier-Sommelière. «Egal, wo auf der Welt ich bin: Ich mag es, neue Biersorten auszuprobieren. Ich lasse mich gerne überraschen.» Die Saison-Spezialität, ein dunkles, stärkeres Oktoberfestbier, lehnt Lopar ab und wählt zunächst ein leichteres, helles Bier. «Ich mag durchaus auch kräftigere Spezialbiere, doch es kommt ganz auf den Anlass an», sagt sie, und nimmt einen Schluck.
Bei Lopar sind Leidenschaft und Beruf eins. So studiert die gelernte Kauffrau Hotelfach in Passugg. «Vor Studienbeginn hatte ich einen Monat frei. Per Zufall habe ich auf Facebook gesehen, dass im Bier-Sommelier-Kurs von Gastro-Suisse in Zürich kurzfristig ein Platz frei geworden war. Dieses Seminar war eigentlich erst für nach dem Studium geplant. Aber das nennt man wohl Glück», sagt sie.
Nach einem Monat theoretischen Unterrichts und zahlreichen Ausflügen in verschiedene Brauereien und Bars – zum Beispiel das «Brauhaus» in Frauenfeld – stand die Abschlussprüfung an. «Ich bin glücklich darüber, dass ich die Prüfung bestanden habe, und ich nun zertifizierte Bier-Sommeliere bin. Doch ich sehe mich erst am Anfang», sagt Lopar.
Auf die aktuellen Biertrends angesprochen sagt die Ostschweizer Bier-Sommelière, dass sie die Kreativität und Vielfalt der unabhängigen Craft-Bier-Brauer schätze. «Es gibt alle möglichen Kreationen, zum Beispiel auch Sauerbiere mit Chriesi-Geschmack.» Sie sage zu keinem Bier, es sei nicht gut. Doch wenn ein Bier zu süss sei oder zu viele Röstaromen habe, trinke sie es weniger gern. «Für mich muss ein Bier noch nach Bier schmecken. Geht der ursprüngliche, reine Biergeschmack verloren, ist es weniger meins.» Das trifft auch auf den aktuellsten Biertrend zu: Sauerbier. «Auch wenn es «in» ist: Mit saurem Bier kann ich mich schwer anfreunden», sagt Lopar. Dennoch schätzt die Hotelfach-Studentin die Kreativität der Brauer und freut sich über die Vielfalt in der Bierszene.
In der Schweiz geht der Bierkonsum zurück. Dennoch steigt die Zahl an unabhängigen Bierbrauereien und Privatpersonen, die in den eigenen vier Wänden aus Wasser, Hopfen, Hefe und Malz Bier brauen. Zu letzteren gehören auch Lopar und ein befreundetes Paar aus Häggenschwil. «Zu dritt brauen wir schon länger unser eigenes Bier.» Das gehe ohne komplizierte und teure Gerätschaften. Wichtig sei, dass man die Temperatur des Gebräus ständig unter Kontrolle habe und die Rezeptur mit hochwertigen Rohstoffen genau einhalte. Mit der Thermomix-Küchenmaschine klappe das gut. «Aber langfristig würde ich gerne eine oder zwei Stufen weiter gehen und mir ein richtiges, professionelles Brau-Set leisten», sagt Lopar.
Auch wenn sie noch nicht den Stellenwert eines klassischen Wein-Sommeliers haben: «Bier-Sommeliers sind in der Schweiz immer gefragter», berichtet sie. Auch in der Ostschweiz: «Das ‹Grand Resort› in Bad Ragaz hat einen extra Bier-Sommelier eingestellt.» Als Bier-Sommelière möchte Lopar auch eine Botschafterin für Bier sein und den Menschen das Getränk näher bringen: «Was Amor für die Liebe ist, bin ich für Bier.»
Noch immer gibt es Stimmen, die behaupten, Biertrinken gehöre sich für Frauen nicht. «Bier trinken ist nicht ‹ladylike›? Darüber kann ich nur schmunzeln.» Wenn sie ihre Verwandten in Süditalien besuche, höre sie manchmal, dass man als Frau nicht in Bars gehe und Bier trinken unweiblich sei. «Solche Kommentare kann ich zum Glück gut ignorieren. Warum soll Biertrinken denn nicht weiblich sein?»
«Trotz» der Vorbehalte gegen biertrinkende Frauen: Auch in Lopars italienischer Heimat erfreuten sich insbesondere kleine, unabhängige Bierbrauereien grosser Beliebtheit. Doch wenn es um Bier geht, ist ein Land für Lopar die klare Nummer eins: «Ich möchte unbedingt einmal nach Belgien reisen.» Es gebe ihrer Meinung nach kein anderes Land, das Bier so zelebriere. «In Belgien hat Bier den Stellenwert, den es verdient», schwärmt sie. «Jedes Bier wird mit der richtigen Temperatur und mit seinem eigenen Glas serviert. Herrlich.»
Lopar hatte vor dem Bier ein anderes grosses Hobby: Fussball. Sie spielte zehn Jahre in verschiedenen Ostschweizer Teams, zum Beispiel im Frauenteam des FC Frauenfeld oder des FC Amriswil. Das Fussballer-Gen liegt bei Lopars in der Familie: Der ältere Bruder Daniel ist Goalie beim FC St.Gallen, der Vater arbeitete früher als Fussballtrainer in Romanshorn.
«Nach dem Sport ein neues Hobby zu finden war schwierig», sagt Sandra Lopar. Sie verfolge zwar die Spiele des FCSG oder ihrer Lieblingsmannschaft Juventus Turin. Selber spiele sie nicht mehr. «Doch mit dem Bier und meinem Studium habe ich eine Beschäftigung gefunden, die mich rundum glücklich macht.»
Sandra Lopar ist ein Familienmensch. Wenn sie übers Wochenende ihre Eltern in Amriswil besucht, freut sie sich vor allem auf eines: Ihre kleine Nichte. «Wenn ich von meinem zweiten Zuhause in Chur nach Hause komme, kann ich es nicht erwarten, meine 15 Monate alte Nichte Lara zu sehen. Es gibt nichts Schöneres als ihre leuchtenden Kinderaugen und ihre Unbeschwertheit.»
Von Rossella Blattmann/St. Galler Tagblatt / Bilder von Michel Canonica/St. Galler Tagblatt