Ian Scarth, ehemaliger Professor für «Food and Beverage and Service Operations Management» an der EHL, verfügt über Erfahrungen in der strategischen Entwicklung und Führung in der Hospitality Branche. In diesem Artikel erläutert er, was Leadership mit Purpose ist und was es bedeutet, ein Unternehmen mit Purpose zu sein.
Purpose ist Englisch und steht für Zweck, Ziel oder Sinn. Jedoch geht es dabei nicht nur, um ein rationales Unternehmensziel, sondern um die grundlegende Motivation das tief im Unternehmen verwurzelt ist.
Ein Beispiel für ein Unternehmen mit Purpose ist KITRO. KITRO ist ein Unternehmen, das 2017 von EHL Absolventinnen gegründet wurde. Das Unternehmen nutzt künstliche Intelligenz, um den Food Waste in Gastronomie-Betrieben zu reduzieren. Die Motivation des Unternehmens ist nicht, so viel Gewinn wie möglich zu machen, sondern durch sein Handeln einen grösseren Zweck zu erfüllen, nämlich Lebensmittelabfälle zu reduzieren und damit einen positiven Effekt auf die Umwelt zu haben.
Viele Manager behaupten ein klares, gut definiertes und im gesamten Unternehmen kommuniziertes Unternehmensziel zu haben. Eine weitaus grössere Herausforderung ist es jedoch, dieses Ziel nachhaltig zu gestalten und ihm einen wirklichen Zweck, also Purpose zu geben. Des Weiteren müssen die Mitarbeitenden und alle Share- und Stakeholders klar über diesen Purpose informiert sein und dahinter stehen. Nur so kann der Purpose auch als Motivation dienen. Heutzutage ist es für die Arbeitnehmenden wichtiger denn je, in die Entscheidungsfindung einbezogen zu werden und eine Tätigkeit auszuüben, die einen Sinn hat.
Unternehmen mit Purpose sind sich ihrer Notwendigkeit, einen wirtschaftlichen Nutzen zu schaffen, rechtliche Verpflichtungen einzuhalten und langfristigen Shareholder Value zu generieren, sehr bewusst. In der heutigen Geschäftswelt sind dies jedoch Selbstverständlichkeiten, die durch weniger greifbare und schwieriger zu messende Erwartungen der Stakeholder ergänzt werden müssen.
Dieser «höhere Zweck» ist erstrebenswert und bietet einen Sinn, wenn er von Mitarbeitenden auf allen Ebenen Unterstützt und ausgelebt wird. Er spricht auch Käufer an, die das Gefühl haben wollen, dass sie berücksichtigt werden und dass ihre Bedürfnisse in die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen einfliessen.
Das frühe 21. Jahrhundert hat aussergewöhnliche Herausforderungen mit sich gebracht. Die Rezession von 2008, die Verwüstung von Covid-19 und ihre wirtschaftlichen Folgen, die Komplexität des Brexits, eine unsichere US-Wahl in einem Klima nie dagewesener Feindseligkeit (VUCA).
Diese Ereignisse haben dazu beigetragen, dass viele Führungskräfte zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt sind: Sie müssen sich nicht nur selbst neue Fähigkeiten aneignen, sondern auch ihre Mitarbeitenden stärker als je zuvor auf Kurs bringen und einbeziehen. Die Umstände haben auch die Erwartungen der Mitarbeitenden und ihren Wunsch nach einer stärkeren Einbindung und Beteiligung an der Steuerung ihres eigenen Schicksals und der Erfolge der Organisationen erhöht.
Diktatorische Führung muss der Vergangenheit angehören, während integratives und beteiligtes Leadership der Zukunft angehört. Manche Führungskräfte können sich nur schwer mit diesem Konzept anfreunden und benötigen möglicherweise ein Coaching, um ihren Leadership Stil anzupassen. Wird dieser Gedanke jedoch nicht verstanden, führt dies zu Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden und zu Frustration bei der Führungskraft.
Es muss darüber nachgedacht werden, wie die Organisation ihre Ziele formuliert und an das gesamte Unternehmen kommuniziert. Der Kellner zum Beispiel hat sicherlich andere Ziele als der Koch, der sich mehr auf das Produkt als auf den Service konzentriert. Beide sind jedoch von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, das Gesamtziel des Unternehmens, nämlich die aussergewöhnliche Kundenzufriedenheit, zu erreichen. Das gleiche Mass an Zusammenhalt muss auch für andere Dienstleistungsunternehmen erreicht werden, die heute oder in der Vergangenheit über dezentrale oder gemischte Teams verfügen - eine weitere Kernkompetenz für die Leader der Zukunft.
Wenn Zweck und Leidenschaft aufeinander abgestimmt sind, wird die Reise zum Purpose reibungsloser und wirkungsvoller. Die Unebenheiten und Kurven auf der Strasse werden hinter sich gelassen, während die Organisation, die vor ihr liegende Autobahn nutzt, um die vereinbarten Meilensteine schneller zu erreichen. Wenn ein Kellner mit Leidenschaft ein vereinbartes Ziel verfolgt und mehr Freiraum hat, um es zu erreichen, werden seine Gäste mit Sicherheit ein unvergessliches Restauranterlebnis geniessen.
In der Vergangenheit wurden die Mitarbeitenden allzu oft aufgefordert, Leidenschaft zu zeigen, ohne sich das Ziel zu eigen zu machen, und es wurde ihnen weder die Zeit noch die Mittel zur Verfügung gestellt, diese Leidenschaft zum Ausdruck zu bringen.
Mit den besten Gehältern lassen sich keine inspirierten Mitarbeitenden mehr anlocken und binden; das Leben ist zu sehr von Stress, Unsicherheit und Depression geprägt. Das heutige Arbeitsumfeld muss auf einem Fundament aufgebaut sein, das sowohl greifbare Vorteile für die Mitarbeitenden als auch immaterielle Erfahrungen umfasst, die den Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt gerecht werden.
Gelingt es nicht, diese immateriellen Vorteile zu bieten, wird dies mit ziemlicher Sicherheit zu Unzufriedenheit der Mitarbeitenden und einem höheren Mass an Stress, Angst, Depressionen und Demotivation führen, die schon lange vor der Einführung von Covid am Arbeitsplatz zugenommen haben.
Immer mehr CEOs fordern nach der Pandemie die Rückkehr ins Büro, mit der Begründung, dass die Arbeit von zu Hause aus die Produktivität verringert. Das mag durchaus der Fall sein. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass viele Menschen sich auf die Rückkehr an den Arbeitsplatz freuen, da sie ihre Kollegen und die Kameradschaft vermissen, die es zu Hause oder über Skype/Teams nicht gibt. Wenn man solche Schritte unternimmt, ohne dass die Ziele und der Zweck klar definiert sind, könnten die Unternehmenspraktiken in die alte Norm zurückfallen und den Arbeitnehmern nicht die Einbindung und Beteiligung bieten, die sie sich wünschen.
Vor kurzem habe ich ein Jahr lang die Abläufe im Gastgewerbe eines englischen Fussballvereins der West Country Championship beobachtet, bei dem der Zweck nur gelegentlich von den Führungskräften auf sehr unklare und verwirrende Weise an die Abteilungsleiter weitergegeben wurde. Die Abteilungsleiter neigten dazu, einen individuellen Ansatz zu wählen, der zu zahlreichen unabhängigen Silos führte.
Den Mitarbeitenden wurde die Leidenschaft genommen, weil sie von ihren Vorgesetzten wenig respektiert wurden, die wiederum ständig von oben kritisiert wurden, wenn etwas schieflief. Der Druck, unter dem die Abteilungsleiter standen, um Ziele zu erreichen, die nichts als den Gewinn maximierten, wurde nicht durch Schulungen, Coaching oder Mentoring unterstützt. Wenn ich im Stadion spazieren ging und die leitenden Angestellten nach ihrer Vision, ihrem Zweck und ihren Zielen fragte, stiess ich oft auf leere Gesichter. Die Kommunikation zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeitenden fand nur selten statt und konzentrierte sich häufig auf das Negative und nicht auf das Positive.
Die Ausbildung war aufgrund des hohen Anteils an Aushilfskräften stets eine Herausforderung. Dieses Problem wurde jedoch nie erörtert oder angesprochen, was zu uneinheitlichen Standards und dem Fehlen von echtem Stolz führte, was in einem so spannenden Arbeitsumfeld eine Schande war. Die Personalfluktuation war hoch, ich habe während meines Beobachtungsjahres (vor Covid) eine Fluktuation von 76 % bei den Vollzeitbeschäftigten im Gastgewerbe beobachtet. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Personalabteilung sowohl von der Leitung als auch von der Belegschaft als ziemlich unbedeutende Abteilung angesehen wurde, was seltsam ist, da sie in einem stark wettbewerbsorientierten Dienstleistungssektor tätig ist.
Andererseits hatte ich das Vergnügen, mit einem Fünf-Sterne-Hotel in London, The Landmark, zusammenzuarbeiten. Es wurde im Rahmen der Sunday Times-Auszeichnung «Best Companies to Work for 2020» zum viertbesten Arbeitgeber (branchenübergreifend) gewählt und ist ausserdem mit dem Platin-Level-Zertifikat «Investor in People» ausgezeichnet. Zum Zeitpunkt der Auszeichnung war das The Landmark London das erste und einzige Hotel weltweit, das die Platin-Zertifizierung erhalten hatte. Der Geschäftsführer war sehr zugänglich und hatte eine Kultur aufgebaut, in der der Mensch an erster Stelle steht. Die Mitarbeitenden wurden respektiert, ermutigt, sich zu engagieren und in ihrer Arbeit unterstützt. Die Teammitglieder waren für die Erbringung der Dienstleistungen verantwortlich, kannten ihre Aufgabe und arbeiteten mit Stolz und Begeisterung daran. Die Mitarbeitenden wurden von einer hochkarätigen Personalabteilung unterstützt, die im Herzen des Hotels tätig war.