Hinter einem Gastgeber steckt sehr viel mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Gefragt sind unter anderem Offenheit, Interesse an Menschen, Taktgefühl und ein gutes Gespür fürs Gegenüber. Christian Dangel, ehemaliger Direktor der legendären Kronenhalle in Zürich und Alumni der École hôtelière de Lausanne (EHL), im Gespräch mit dem Swissfamily Magazin darüber, was einen guten Gastgeber ausmacht.
Das ist natürlich schon ein Weilchen her. 1988 habe ich die Hotelfachschule in Lausanne abgeschlossen. Danach war ich mit Ausnahme einer kurzen Zeitspanne stets in der Hotellerie tätig, vorwiegend in Sales und Marketing. Vor drei Jahren habe ich die Direktion des Restaurants Kronenhalle in Zürich übernommen. Das ist in meiner Laufbahn der erste reine Gastronomiebetrieb. Dazu geführt hat eigentlich ein Zufall. Ich habe mich mit dem damaligen Direktor privat ausgetauscht, und er hat mir gesagt, dass derzeit eine Nachfolge für ihn gesucht wird. Er war zunächst der Ansicht, das würde mich wohl nicht besonders interessieren, weil ich immer in der Hotellerie gearbeitet hatte. Aber ich habe ihm gesagt: In erster Linie bin ich Gastgeber – ob in einem Hotel oder in einem Restaurant. Für mich gibt es da keinen Unterschied.
Ich war gut 20 Jahre in verschiedenen Hotels tätig, viele davon im Ausland: Abu Dhabi, Südamerika, Bulgarien... Das ist eine gute Schule, es erweitert den Horizont. Man lernt, die Leute zu spüren, mit verschiedenen Charakteren umzugehen, auf Mentalitäten einzugehen. Was ich dabei erfahren habe: Man kann nicht jeden Gast auf die gleiche Weise nehmen oder ansprechen, sondern muss individuell reagieren.
Es gibt ein ganz allgemeines, grundsätzliches Ziel. Ein Gast kommt an einen bestimmten Ort, der nicht sein Zuhause ist – aber er soll sich hier so fühlen wie daheim. Das war schon die Philosophie der Gründerin der Krone, Hulda Zumsteg. Sie wollte eine heimische Atmosphäre kreieren, von der sich jeder Gast angesprochen fühlt, egal, von wo er kommt. Das ist auch wichtig für den Erfolg. Viele unserer Gäste kommen auf eine Weiterempfehlung hin. Fotos und Texte können geschönt sein, aber dem Urteil von Freunden vertraut man. Wenn man sich an einem Ort besonders wohlgefühlt hat, sagt man das auch weiter.
Ich begrüsse alle Gäste wenn immer möglich persönlich. Und ich bin bereit, mich mit ihnen auszutauschen. Aber es ist wichtig, dass der Anstoss vom Gast kommt, ich beginne selten mit dem Gespräch. Denn die Menschen sind sehr verschieden. Amerikaner oder Kanadier beispielsweise sind sehr offen und suchen das Gespräch sofort oder antworten auf Fragen, andere sind zurückhaltender. Es ist auch eine Frage des Zeitpunkts. Zur Mittagszeit begrüssen wir vor allem Businessleute, die vielleicht mit ihrem Gegenüber über ein Geschäft sprechen möchten, da bleibt es meist bei der Begrüssung. Am Abend kommen Gäste, die mehr Zeit haben, die vor allem den Genuss suchen. Dann gehe ich auch persönlich an den Tisch, frage nach, ob ich helfen kann, ob sie mehr wissen wollen über die Kronenhalle und so weiter. Man muss aber stets spüren, ob jemand den Wunsch hat, sich auszutauschen. Gastgeber zu sein bedeutet, sich bis zu dem Punkt um den Gast zu kümmern, an dem er es wünscht.
Es gibt klare Tabuthemen. Ich spreche nie über Politik oder über Religion. Das heisst aber nicht, dass es immer beim Wetter bleiben muss. Es gibt viele neutrale Themen, die man aufgreifen kann. Und die Geschichte der Kronenhalle bietet auch viele Anknüpfungspunkte. Es ist jedenfalls wichtig, sich bei der Themenwahl nicht auf die Äste hinauszulassen.
Ich würde den Satz in dieser Form nicht unterschreiben, nein. Selbstverständlich gibt es bei Beanstandungen keine Diskussion: Wenn der Gast nicht zufrieden ist, wird das Problem erledigt. Der Klassiker ist der Wein. Ist der Gast der Meinung, dass er Zapfen hat, wird er ausgetauscht, auch wenn wir das so nicht feststellen können. Den Gast zu belehren, ist keine Option. Aber König ist der falsche Ausdruck, man sollte nicht unterwürfig sein, es ist wichtig, dass sich Gastgeber und Gast auf Augenhöhe begegnen. In früheren Zeiten war das Verhältnis vielleicht mehr das zwischen einem Herrn und seinem Diener, aber das ist nicht meine Vorstellung – und wohl auch nicht die der meisten Gäste.
Ich würde sagen: beides. Man sollte ja ganz grundsätzlich das beruflich machen, zu dem man ein gewisses Talent hat. Auf diesem kann man aufbauen. Und man muss Freude an der Aufgabe haben, wer die nicht mitbringt, dem kann man auch nichts beibringen. Für Gastronomie und Hotellerie gilt das ganz besonders. Wer einfach eine Arbeit sucht, um sein Geld zu verdienen und nicht mehr als das, der ist hier falsch. Man muss den Wunsch haben, anderen Menschen eine Freude zu bereiten. Denn unsere Gäste sind ja hier, um ein Erlebnis zu haben. Man merkt übrigens sehr schnell, ob jemand beispielsweise in der Bedienung Freude an der Tätigkeit hat oder nicht.
Wir sind alle Menschen, und nicht jeder Tag ist gleich wie der andere. Aber dann muss man sich eben auch einmal überwinden und versuchen, sich dennoch zu motivieren. Entscheidend ist, dass es in einem Team stimmt, dann hilft man sich auch gegenseitig. Unsere Gäste sind ja im Übrigen auch nicht immer gleich guter Stimmung. Dann gilt es umso mehr, das Gefühl für ihre Bedürfnisse zu haben. Manchmal reicht es auch schon, ihnen zuzuhören, wenn sie etwas loswerden wollen – und auf Wunsch auch darauf einzugehen. Für mich gilt: Wenn unsere Mitarbeitenden zur Tür hereinkommen, müssen sie gewisse persönliche Dinge in den Hintergrund schieben und sich dem Gast widmen. Denn er ist es, der letztlich die Löhne bezahlt.
Auf jeden Fall, das ist wichtig, sie können nicht erst nach der Ausbildung plötzlich in diese Rolle finden. Ein Lernender geht bei uns beispielsweise oft selbst zu den Gästen, die er bereits kennt und begrüsst sie. Wir sind ja ein Betrieb mit vielen Stammgästen, und wenn ein Bezug besteht, ergibt sich sofort ein direkter Kontakt. Das geht so weit, dass einzelne Gäste einen bestimmten Kellner an ihrem Tisch wünschen. Aber natürlich handhabt das nicht jeder Betrieb gleich.
Ein Beispiel: Bei uns reserviert man telefonisch oder per E-Mail, wir haben kein Online-Reservationstool. Wenn man sich mit jemandem direkt austauscht, entsteht sofort eine ganz andere Bindung als bei einer automatischen Reservation. Ganz zu schweigen von der Unverbindlichkeit, die online besteht, die Rate der Leute, die dann einfach nicht erscheinen, ist viel höher. Ein persönliches Gespräch ist viel verpflichtender. Wir erhalten Anrufe aus der ganzen Welt, und viele der Reservierenden kennen wir inzwischen. Dann spricht man oft über mehr als nur über die Tischreservation.
Wir sind meist zu zweit am Empfang, damit keine zu langen Wartezeiten entstehen. Sind dennoch einmal alle beschäftigt, wenn ein Gast eintritt, ist es wichtig, den Augenkontakt zu suchen und vielleicht ein entsprechendes Zeichen zu machen, damit er sieht: Er wurde wahrgenommen, es wird ihm bald jemand weiterhelfen. Ebenso wichtig ist die Rolle aber nach dem Besuch bei uns, die Verabschiedung. Man darf nicht das Gefühl haben, mit dem Bezahlen der Rechnung sei die Aufgabe als Gastgeber vorbei. Auch hier sollte man ständig präsent sein, in den Mantel helfen, vielleicht noch einmal kurz Bezug nehmen auf das, worüber man zuvor gesprochen hat. Das zeigt, dass man zugehört hat und sich für das Gegenüber interessiert. Man darf den Gastgeber nicht mit einem Freund verwechseln, aber er ist ein Gesprächspartner auf Zeit.
Ich denke, es war einst teilweise ein berechtigtes Urteil, aber das ist wohl auch schon wieder zehn Jahre her. Inzwischen haben wir das Ruder in der Schweiz herumgerissen. Das höre ich auch immer wieder von unseren Gästen aus dem Ausland. Und ich erfahre es selbst, wenn ich für einmal Gast bin. Natürlich sind wir nach wie vor eine Hochpreisinsel, und wenn die Preise höher sind, dann sind es auch die Erwartungen des Gastes. Dem müssen wir gerecht werden. Entscheidend ist, dass wir gute Nachwuchskräfte finden. Sie machen letztlich den Ruf von morgen aus.
Die eher negativen Faktoren sind ja bekannt: die Arbeitszeit an Abenden, Feiertagen und Wochenenden. Zudem ist es beispielsweise in der Bedienung ein harter Job. Es herrscht ein gewisser Druck, man ist lange Strecken unterwegs und trägt schweres Geschirr. Wie ich schon gesagt habe: Das Geld allein darf dafür nicht der Anreiz sein. Belohnt wird man mit einer spannenden Aufgabe, vielen schönen Erlebnissen und zahlreichen Aufstiegschancen.
Hoffentlich nie. Die ganze Atmosphäre in einem Restaurant oder einem Hotel wird von den Menschen erzeugt, die dort arbeiten. Das darf nicht verloren gehen. Und ich glaube auch nicht, dass die Gäste das wollen.
Interview von Stefan Millius (erschienen im Swissfamily Magazin für Eltern, swissfamily.ch)